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  • AutorenbildRemi

3 - EIN TAG WIE JEDER ANDERE


Illustration @mehdi_ange_r (INSTAGRAM)

Wo soll ich beginnen, wenn nicht am Anfang …

Wenn ich “Anfang” sage, dann meinte ich natürlich den Moment in dem ich erfahren habe, dass ich HIV positiv bin.

Ich weiß bereits jetzt im Vorraus, dass es nicht einfach wird darüber zu erzählen, aber ich bin mir sicher dass viele Menschen wesentlich davon profitieren werden.

Alles begann im Jahr 2008, mit einer außergewöhnlichen Begegnung ... mein aller erster Schwarm. Zu der Zeit habe ich in Paris gewohnt und D (so nennen wir ihn jetzt) lebte in Caen, aber das hat in diesem Kapitel meines Lebens nie ein richtiges Problem dargestellt.

Nach ein paar intensiven Wochen zusammen haben wir uns beide dazu entschieden unser Blut testen zu lassen, nur um sicher zu gehen dass alles in Ordnung ist. Ich hatte meinen letzten HIV Test über einen Monat davor machen lassen, also hatte ich eigentlich keine Bedenken über die Ergebnisse des Tests.

D hat seinen Test in Caen machen lassen und ich hate meinen Termin im Figuiers Center in der Saint-Paul metro. Zu diesem Zeitpunkt war es bereits Routine für mich, mich 2 mal im Jahr testen zu lassen, also habe ich keinen meiner Freunde als Begleitung/Unterstützung mitgenommen.

Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich jedes mal bevor ich in das Center gegangen bin erst be einem Schusterladen gestoppt bin, um meine A.P.C Stiefel abzugeben, die mir sehr am Herzen liegen. Ich ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass sich meine entspannte Lebenseinstellung nur wenige Minuten später komplett ändern würde.

Um ca. 2 Uhr Nachmittags bin ich in dem Center angekommen, gerade als es geöffnet hatte. Leider waren zu dieser Zeit schon sehr viele Menschen dort. Ich wurde aber sehr schnell aufgerufen, sogar vor anderen Leuten die bereits vor mir dort waren. Ich muss zugeben dass ich zu dem Zeitpunkt noch nicht verstanden habe wieso, da normalerweise alle Patienten nach der Reihe aufgerufen werden. Ich setzte mich hin und fühlte mich relativ entspannt. Wie bereits erwähnt waren diese Tests bereits zur Routine für mich geworden und mir war der Vorgang bereits bekannt.

Der Arzt hat dann einen Umschlag aufgemacht. In einer beruhigenden Stimme sagte er: „Nunja .. das Ergebnis ist positiv.“

Mein Gehirn konnte diese Information zu der Zeit garnicht richtig verstehen. Ich habe mich gefragt, wenn es also postiv ist, ist dann alles in Ordnung mit mir? Aber natürlich habe ich in seinen Augen gesehen, dass nicht alles in Ordnung war. Ich erinnere mich daran, dass ich daraufhin sofort einen ganz heißen Kopf bekommen habe, wie mein Magen sich zusammen gezogen hat und das Gefühl einfach zu schweben, als wäre ich garnicht mehr in dem Behandlungszimmer. Mein Körper war noch anwesend, aber mein Geist wollte der Situation einfach nur entfliehen ...

Der Arzt rat mir tief durchzuatmen, und sagte mir dass wir einen zweiten Test machen müssten um das Ergebnis zu bestätigen. Also habe ich mich zusammengerissen und bin zu der Arzthelferin gegangen um mich testen zu lassen. Die Abwicklung war sehr diskret und ich erinnere mich noch an die freundliche und sanfte Arzthelferin die den Anschein machte mir helfen zu wollen, obwohl ich hatte das überwältigende Gefühl dass ihr dies nicht möglich war.

Als ich zurück in den Behandlungsraum kam, sagte der Arzt zu mir: „ Bitte informieren Sie Ihre Angehörigen nicht sofort über ihr Ergebnis, gehen Sie nach Hause, aber teilen Sie es ihnen nicht sofort mit. Sie müssen ersteinmal verstehen, was nun passieren wird.“

Er hat mich daraufhin zu einem Arzt überwiesen, der bereits viele HIV positive Patienten behandelt hat. Er sagte die Testergebnisse würden direkt an dessen Arztpraxis weitergeleitet werden, und dass ich einen Termin mit ihm vereinbaren müsste um den weiteren Vorgang zu besprechen.

Ich habe dem Ganzen zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich Aufmerksamkeit geschenkt, ich hatte keine Fragen, ich wusste einfach dass ich noch 20 Minuten zuvor schwer verliebt war, und nun verstand ich überhaupt nicht mehr was gerade eigentlich passiert.

Während der Behandlung erhielt ich eine Nachricht von D, der gerade sein Ergebnis erhalten hatte: „Bei mir ist alles in Ordnung. Bitte sag mir Bescheid, wenn bei dir auch alles in Ordnung ist.“

Das Problem war, dass bei mir nicht alles in Ordnung war ... und dass ich neben all dem nur eine Sorge hatte – ihn zu verlieren.

Leise verließ ich das Center durch die Hintertür. Im Nachhinein ist das für mich eine sehr negative Erinnerung, weil ich mich von Anfang an gefühlt habe als müsste ich mich schämen. Außerdem hatte ich große Angst das Wartezimmer unter Tränen zu verlassen.

Also saß ich daraufhin alleine draußen auf dem Bürgersteig und weinte.

Ich erkannte dass ich einige Zeit benötigen würde um die Informationen die ich gerade erhalten hatte zu verarbeiten, also rief ich meine Arbeitgeberin an um ihr mitzuteilen, dass ich bis auf weiteres nicht in der Lage war zu arbeiten. An meiner Stimme erkannte sie sofort, dass etwas mit mir nicht stimmte und es ziemlich schlimm sein musste. Sie reagierte sehr verständnisvoll und bat mich, sie auf dem Laufenden zu halten.

Ich ging vom Saint-Paul zu Voltaire zurück, mein Gehirn völlig vernebelt, und die Tränen liefen mir über das Gesicht. Dieser 20 Minuten lange Weg fühlte sich wie der längste Weg an den ich je in meinem Leben gegangen bin.

Als ich angekommen war rief ich D an. Die Stille gemischt mit den Tränen ließ ihn verstehen dass ich keine guten Nachrichten zu verkünden hatte. Wir weinten beide sehr viel während des Gespräches.

D konnte erst am nächsten Tag zu mir kommen, also rief ich eine meiner Schwestern an die ebenfalls in Paris lebte und sagte ihr wie dringend ich ihre Unterstützung brauchte. Außerdem habe ich zwei meiner besten Freunde kontatkiert, einer der beiden hatte genau an diesem Tag Geburtstag. Ich hätte ihm lieber ein ganz anderes Geschenk gemacht.

Als meine Schwester da war umarmte sie mich sofort, und sagte jegliche beruhigenden Dinge zu mir, an die sie nur denken konnte. Ihre Stärke hat mir viel gegeben, diese Stärke habe ich gebraucht. Wir entschieden uns dazu, die Neugikeiten vorerst zwischen uns zu behalten. Die Entfernung zwischen meinen Eltern und meiner anderen Schwester hätte den Stress und die Angst verzehnfacht und natürlich musste ich es ihnen persönlich mitteilen, aber sicherlich nicht am Telefon. Der Ehemann meiner Schwester (zu diesem Zeitpunkt noch ihr Freund) kam ebenfalls zu meiner Wohnung um meine Schwester zu unterstützen.

Meine Freunde kamen am Ende des Tages an. Die Stimmung war natürlich getrübt. Wir entschieden uns spontan dazu Essen zu gehen, in dem Restaurant ein Stockwerk tiefer.

Die Anwesenheit meiner Schwester und meiner Freunde gab mir die Dynamik und Kraft um den Rest des Tages zu überstehen: Ich musste einfach weitermachen.

Ich habe keine schlechten Erinnerungen an dieses gemeinsame Essen. Ich kann mich sogar daran erinnern, dass ich an diesem Abend das erste mal „duck parmentier“ gegessen habe. Es ist faszinierend wie unser Gehirn funktioniert, die Erinnerungen die sich fest verankern, manchmal sind sie einfach unbedeutend.

D kam am nächsten Tag bei mir an, umarmte mich, und meine Sorge ihn zu verlieren löste sich in Luft auf.

Es war gut so, ich fing an meine Armee um mich herum zu bilden, um mich selbst wieder aufzubauen um durch die nächsten Schritte zu kommen welche natürlich nicht einfach werden würden.



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